Dies ist der zweite Teil meiner Serie zu meinem Umstieg auf Android als mein primäres Betriebssystem. In diesem Teil geht es um den Weg zum für mich richtigen Handy und erste Fallstricke bei der Einrichtung.
Erste Station: Nokia 6.1 🔗
Der Vorteil von Android gegenüber iOS ist ja eine große Gerätevielfalt. Dies kann aber auch ein Fluch sein, wenn man auf Bedienungshilfen wie TalkBack angewiesen ist. Jeder Hersteller kann einen eigenen Launcher, eigene Apps fürs Telefonieren, Mailen usw. vorinstallieren usw. Und da besteht die Gefahr, dass diese nicht immer oder teilweise gar nicht mit den Bedienungshilfen zusammenarbeiten.
Google hatte vor ein paar Jahren ein Programm namens Android One aufgelegt, das hier eine Vereinheitlichung für Hersteller abseits von Google darstellen sollte: Ein Softwarepaket, das der Distribution von Google selbst weitgehend ähnelt und auch direkt von Google und den Herstellern zeitnah mit Updates versorgt werden sollte. Um mir möglichst viel Frust zu ersparen, sollte es also ein Android One Handy sein. Ich persönlich fand zwar auch die OnePlus-Handys sehr attraktiv, aber aus verschiedenen Quellen wusste ich, dass das erste, was man als TalkBack-Nutzer machen musste, war, die Telefon-App gegen die von Google einzutauschen, die man zum Glück über den Play Store beziehen kann. OxygenOS, die OnePlus-Distribution von Android, beinhaltet eine App, die nicht zugänglich ist. Zumindest war sie es zu dem Zeitpunkt nicht, inzwischen mag sich das geändert haben.
Außerdem hatte ein Bekannter im Sommer 2018 auch den Schritt weg von iOS hin zu Android vollzogen. Er hatte gute Erfahrungen mit einem Nokia 6.1 gemacht. HMD Global vertreibt unter der lizenzierten Marke Nokia eine ganze Palette von Android-Handys. Das 6.1 schien ein guter Kompromiss zu sein.
Hier ergab sich bei der Ersteinrichtung auch der erste Fallstrick, der sich bis zum endgültigen handy hin mit unschöner Regelmäßigkeit durchziehen sollte: Wählt man nämlich als Sprache von Anfang an irgend etwas anderes als Englisch und schaltet TalkBack zu, hört man zwar die TalkBack-Sounds, aber keine Sprachausgabe. Der Grund: Sowohl Android One als auch Google auf seinen Pixel Smartphones selbst liefert standardmäßig nur eine Stimme für englisch mit. Ist die Systemsprache im ersten Schritt auf eine andere eingestellt, spricht TalkBack nicht mit einem, obwohl es läuft.
Abhilfe kann man nur schaffen, indem man erst auf englisch mit dem WLAN eine Verbindung aufbaut und dann zurück geht und die Sprache auf deutsch umschaltet, um das Setup fortzusetzen. Mit einer aktiven Verbindung holt sich Android dann die notwendigen Sprachausgabe-Pakete selbstständig und fängt irgendwann an zu sprechen. Aber ohne sehende Hilfe ist das für die wenigsten zu schaffen. Dies ist also im direkten Vergleich mit Apple eine echt böse Falle, die Ein- und Umsteiger zwingt, sich sehende Hilfe zu holen. Bei Apple kann jeder, der sich ein iOS-Gerät kauft, dies in welcher unterstützten Sprache auch immer, selbstständig einrichten. Weitere Nachforschungen ergaben, dass Samsung auf seinen Geräten mit Voice Assistant wohl mehr Sprachen mitliefert, also den Apple-Ansatz verfolgt und nicht ganz so minimalistisch agiert. Allerdings sind auch die Samsung-Preise denen von Apple nicht unähnlich. Und gibt es eigentlich irgendjemanden, der bei Samsung durch die verschiedenen Gerätekategorien durchsteigt? Galaxy, Note, A und O – ähem Entschuldigung… Ich schweife ab.
Das erste, was mein Nokia 6.1 tat, war, sich das Update auf Android Pie zu holen. Dies war bei meinem Ankauf des Handys gerade frisch fürs 6.1 erschienen. Und hier gab es dann auch gleich die erste Enttäuschung. Funktionierte OK Google freihändig, sogar im Sperrbildschirm, unter Orio 8.1 noch problemlos, wurde dies in Pie abgedreht. Auch wurde das Handy nach dem Update so dermaßen langsam, dass es fast 2 Sekunden dauerte, von einem Einstellungsbildschirm zum nächsten oder vorherigen zu wechseln. Das verursachte mir nach wenigen Stunden so viel Frust, dass ich den Versuch aufgab. Ein zu langsames Handy war für mich nicht tolerierbar.
Nokia 8 🔗
Als Zwischenschritt zog dann ein Nokia 8 ein. Dieses hat eine wunderschöne Haptik, ähnelt einem etwas zu groß geratenen iPod Touch. Es ist sehr flach und liegt gut in der Hand. Es hat allerdings auch einen Fehler: Es ist kein Android One. Das bemerkte ich aber erst bei der Benutzung. Es bekam im Dezember auch Android Pie, aber ob es auch Android Q bekommen würde, stand da schon nicht mehr fest.
Auch bemerkte ich an diesem Handy eine Sache, die mir auch schon beim flüchtigen Ausprobieren einiger Samsung-Handys negativ aufgefallen war: Ich mag Soft Keys nicht, wenn sie sich anders verhalten als reguläre Tasten, wenn TalkBack läuft. Reguläre Tasten (Buttons) muss man ja mit TalkBack antippen, und zum Auslösen dann doppelt antippen, genau wie bei VoiceOver unter iOS. Soft Keys hingegen lösen sofort aus, wenn man sie antippt, auch wenn TalkBack läuft. Dies betrifft die drei Tasten am unteren Bildschirmrand für Zurück, Home und Übersicht. In die Taste für Home, die tatsächlich auch haptisch abgesetzt ist, ist beim Nokia 8 auch der Fingerabdruck-Sensor integriert.
Ich bin sehr oft versehentlich auf eine dieser Soft Keys gekommen. Wie oft habe ich unabsichtlich eine App geschlossen, bin einen Bildschirm zurückgegangen usw.! Das wurde nach kurzer Zeit echt lästig. Auch konnte ich eine TalkBack-Funktion nicht nutzen, auch den Fingerabdruck-Sensor im entsperrten Zustand mit Gesten zu belegen. Bei meinen kurzen Versuchen mit dem Nokia 6.1, das einen Fingerabdrucksensor auf der Rückseite hat, hatte ich schnell schätzen gelernt, meine Aktionen oder Editierfunktionen schnell über einen Wisch nach links oder rechts erreichen zu können, ohne die gewöhnungsbedürftige Zwei-Wege-Geste von TalkBack (nach oben, dann rechts) dauernd ausführen zu müssen. Dies fiel beim Nokia 8 komplett weg, funktionierte nicht, ohne gleichzeitig den Home-Button auszulösen.
Nokia 8 Sirocco 🔗
HMD Global hatte im Sommer 2018 ein neues Flaggschiff auf den Markt gebracht, das Nokia 8 Sirocco mit deutlich verbesserter Kamera und aktualisierter Hardware und mehr Speicher als das Nokia 8. Mit dem hatte meine Herzdame ihren Umstieg auf Android gestartet, war allerdings mit der Kamera überhaupt nicht zufrieden. Wir gaben daher mein Nokia 8 zurück und sie bekam ein Google Pixel 3, das damals im Sonderangebot war, und ich übernahm ihr Sirocco.
Solange dies mit Android 8.1 Orio lief, war ich mit dem Handy sehr glücklich. Es lief sehr flüssig, hatte einen rückwärtigen Fingerabdrucksensor, Dienste wie der Google Assistant funktionierten auf Zuruf und alles war super. Dann kam das Update auf Pie, Anfang Januar 2019. Und wie beim Nokia 6.1 wurde die Funktionalität des Google Assistenten einfach massiv beschnitten. OK Google ging nicht mehr, man musste ihn immer von hand auslösen, und auch das Entsperren mit Stimme war einfach so mit dem Update abgedreht worden.
Auf Anfrage erhielt ich von HMD Global nur eine sehr schwammige Antwort. Das Handy hatte also vom einen auf den nächsten Tag einiges an für mich wichtiger Funktionalität einfach verloren. Frustriert, dass Android One eben doch bei weitem nicht das hielt, was es versprach bzw. sich krass unterschiedlich zu Pixel-Geräten unter Android Pie verhalten konnte, beschloss ich, das Sirocco zu verkaufen. Ich fand in einer Bekannten eine glückliche neue Besitzerin, die den Google Assistant nicht nutzen wollte und die es nicht störte, dass er nicht so funktionierte wie beim Pixel.
Google Pixel 3 🔗
Ich nahm dann eines der diversen Angebote im Einzelhandel wahr, die kurz nach Weihnachten immer wieder auftauchten, und ergatterte für deutlich günstiger als zum empfohlenen Verkaufspreis ein Google Pixel 3. Von Petra wusste ich, dass der Google Assistant mit diesem unter Pie eben sauber funktionierte. Wir testeten das auch extra noch einmal auf ihrem Pixel, bevor ich das Pixel für mich kaufte.
Die oben erwähnten Fallstricke bei der Ersteinrichtung gab es auch hier. Aber nachdem die Hürden einmal überwunden waren, lief das handy wie geschmiert. Und auf einmal hatte ich auch noch ganz viele andere Funktionen, die ich mit dem Nokia 8 Sirocco nicht hatte: WLAN Call, Voice Over LTE, und die Google-eigene Kamera-App hat eine ähnliche Stimmenführung wie die Kamera unter iOS, dass man Panoramen, Selfies usw. auch als Blinder selbstständig aufnehmen kann, ohne auf Kamera-Apps von Drittherstellern angewiesen zu sein.
Seit Mitte Januar 2019 begleitet mich das Pixel 3 nun als Produktivgerät. Die Qualität der hauseigenen Apps ist gut, die Zugänglichkeit hervorragend. Auch Dritthersteller wie Facebook, Twitter und vor allem auch Microsoft behandeln Android inzwischen neben iOS als gleichberechtigtes Betriebssystem, was die Zugänglichkeit angeht. Apps wie WhatsApp, Threema, neuerdings auch telegram, Instagram, Messenger, Twitter, Sonos Controller, 1Password, Slack, und eine große Palette von Apps von Microsoft sind nur einige, die ich uneingeschränkt nutzen kann.
Fazit 🔗
Man kann inzwischen auch als blinder Nutzer, der auf TalkBack oder andere Bedienungshilfen angewiesen ist, verschiedene Android-Handys gut bis sehr gut nutzen. Dabei kommt es auf die Ansprüche an, wie man seine Zugänglichkeit erreichen möchte. Die sauberste Lösung scheinen tatsächlich die Handys von Google oder Samsung zu sein, dicht gefolgt von Nokia oder anderen Handyherstellern, die an Android One teilnehmen. Mit ein bisschen mehr Basteln kriegt man auch Handys von OnePlus gut zum Laufen, spätestens wenn man einen voll zugänglichen Launcher wie Nova oder Hyperion, oder den von Microsoft, einsetzt. Nach einigem Mitlesen in einschlägigen Mailinglisten oder dem Zuhören in WhatsApp-Gruppen scheinen auch einige Handys von Sony mit ein wenig Fummelei gut zum Laufen zu kriegen zu sein. Man hat also die Qual der Wahl, aber man hat eben auch Auswahl und eine große Preispalette zur Verfügung.
Ich selbst bin nach anfänglichem Frust mit dem Umstieg jedenfalls sehr glücklich. Und im nächsten Teil werde ich ein bisschen was über einige Apps erzählen und einige TalkBack-Kniffe verraten, die ich mir im Laufe der Monate angeeignet habe.