Ich werde immer wieder gefragt, ob man sich als Blinder an Windows 8 bzw. 8.1 herantrauen kann und ob die Touch-Oberfläche eine besondere Barriere für unseren Personenkreis darstellt. Außerdem gibt es ja viele Möglichkeiten der Konfiguration, der Hardware-Anschaffung und eben ja auch die Notwendigkeit, ältere Desktop-Anwendungen weiter benutzen zu wollen.
In diesem Artikel werde ich mal einige Aspekte beleuchten, ein bisschen aufzeigen, was geht und was schwierig ist, und hoffentlich dabei die eine oder andere Frage beantworten können. Ich selbst besitze seit einem knappen Jahr ein Dell Latitude 10-Zoll-Tablet, mit dem ich schon das eine oder andere Experiment gemacht habe. Weiterhin habe ich Windows 8.1 in einer virtuellen Maschine auf dem MacBook laufen, kenne das Betriebssystem inzwischen also auch aus der Perspektive ohne Touch-Screen.
Surface RT oder was Richtiges? 🔗
Diese Frage stellen sich (und mir) viele: Reicht ein Tablet von Microsoft mit der Bezeichnung Surface RT oder Surface 2? Die ganz klare Antwort: Nein!
Surface RT und Windows RT basieren auf der Prozessorarchitektur von ARM. Das ist dieselbe Architektur, mit der quasi alle iOS-Geräte von Apple, fast alle Android-Smartphones und Tablets sowie auch die Nokia Lumia Smartphones von Microsoft laufen. Diese Prozessorarchitektur ist speziell auf den mobilen Einsatz optimiert, sehr stromsparend und benötigt eine im Vergleich zu Desktop-Betriebssystemen kleine Menge an Speicherplatz. Ein aktuelles iOS ist z. B. als Installationspaket zwischen 700 MB und 1,1 GB groß, ein OS X Mavericks schlägt mit über 5 GB zu Buche.
Auch Microsoft musste diesem Umstand bei der Entwicklung von Windows RT Rechnung tragen. Windows RT, also das Windows 8 bzw. 8.1 für ARM-Prozessoren, ist gegenüber dem herkömmlichen Windows deutlich abgespeckt. Es laufen ausschließlich Anwendungen für die Touch-Oberfläche, die aus dem Microsoft Store geladen werden. Sämtliche Anwendungen, die einen herkömmlichen Desktop, wie wir ihn von Windows 7 und früher her kennen, benötigen, laufen nicht auf einem Surface RT.
Und das beinhaltet die Wahl des Screen Readers. Für Windows RT gibt es nur den Narrator. Dieser hat für Windows 8 zwar eine Menge dazugelernt, man kann damit vor allem jetzt auch die Touch-Oberfläche navigieren und bedienen, aber es ist und bleibt ein Einstiegs-Screen-Reader mit einer begrenzten Anzahl an Möglichkeiten und unterstützten Apps. NVDA oder JAWS kann man auf einem Surface RT oder anderen RT-basierten Windows-Tablet nicht installieren. Auch die meisten für uns interessanten Apps wie WinAmp o. ä. gibt es nicht in Versionen explizit für Windows Touch, so dass auch diese auf einem RT-Tablet nicht laufen würden.
Die für uns einzige mögliche Wahl fällt also auf einen PC, ein Notebook oder eben ein Convertible oder Tablet mit Windows 8.1 oder Windows 8.1 Professional. Diese sind Intel-basiert, haben also dieselbe Prozessorarchitektur wie ältere PCs und sind daher im großen und ganzen bekanntes Terrain. Bei Microsoft heißen diese dann Surface Pro 2.
Apropos Screen Reader 🔗
Und wo wir gerade dabei sind: Es gibt bisher zwei Möglichkeiten der Nutzung eigener Screen Reader für alle anderen Windows-8-Tablets: NVDA, welcher die Touch-Oberfläche schon seit der Veröffentlichung von Windows 8 im Oktober 2012 unterstützt, und JAWS, welches mit der Version 15, die im Oktober 2013 erschien, nachzog. Alle anderen Anbieter unterstützen den Windows-8-Touch-Screen nicht, können aber, sofern sie Windows 8 überhaupt schon unterstützen, auf herkömmlichen PCs und Notebooks verwendet werden. Narrator wird auch auf Intel-basierten Windows-8-Systemen mitgeliefert.
Ein sprechendes Setup 🔗
Ja, das gibt es bei Windows 8 und 8.1 in bestimmten Situationen tatsächlich, und zwar auch auf deutsch! Auf den Surface-Tablets und z. B. auch auf dem erwähnten Dell drückt man bestimmte von Gerät zu Gerät leider etwas unterschiedliche Tastenkombinationen, die meistens entweder die Power- oder die Start-Taste und eine Lautstärke-Taste beinhalten, um Narrator beim Setup zu starten. Hat man eine externe Tastatur angeschlossen, hilft die einheitliche Tastenkombination Windows-Taste+Eingabetaste weiter.
Bei vorinstallierten Systemen klappt das in der Regel ganz prächtig. Der Setupvorgang läuft zuverlässig und man hat die volle Kontrolle. Die Touch-Screen-Bedienung ist wie heute auch auf Android und iOS üblich: Man tippt oder wischt zu einem bestimmten Element mit links/rechts, und man führt einen Doppeltipp zum Aktivieren aus. Das gilt standardmäßig auch für Tasten der Bildschirmtastatur. Wer iOS 3 noch kennt, kennt auch die Art dieser frühen Tasteneingabe. Später kann man Narrator anweisen, dass man Buchstaben durch Antippen, eventuell Korrigieren durch Ziehen des Fingers und anschließendes Anheben des Fingers eingeben möchte. JAWS und NVDA sind standardmäßig beide in so einem Modus, dass die Eingabe von Zeichen schnell von der Hand geht.
In manchen Setup-Situationen funktioniert die Sprachausgabe leider jedoch immer noch nicht. Ich habe die oben erwähnte virtuelle Maschine z. B. von Windows 7 auf 8 und später 8.1 aktualisiert. Es gibt hierbei Setup-Schritte, bei denen die Sprachausgabe noch nicht per Tastenkombination zuschaltbar ist. Man braucht da i.d.r. auch immer noch sehende Hilfe, um diese Setupvorgänge zu durchlaufen.
Auch empfiehlt es sich, ein Smartphone, Tablet oder anderen Computer nebendran stehen zu haben. Wenn man sich nämlich mit einem Microsoft-Konto anmeldet, was unter Windows 8 zu empfehlen ist, weil es einiges erleichtert, fragt Microsoft nach einer Überprüfung und schickt dazu eine Mail an die mit dem Microsoft-Konto assoziierte E-Mail-Adresse. Den Code muss man dann im laufenden Setup eingeben, und man muss die Mails dazu natürlich auf einem anderen Gerät abrufen. Ein Microsoft-Konto ist übrigens alles, was man schon mal bei Microsoft-Diensten als Konto gehabt hat. Also eine Live-ID, ein MSN Messenger-Account o. ä. Ähnlich wie die Apple-ID ist dieser Microsoft-Account universell einsetzbar. Man kann Einstellungen synchronisieren, Apps herunterladen und kaufen, SkyDrive als Cloudspeicher verwenden und vieles mehr. So kann man mit ihm auch ein Microsoft-365-Abo abschließen und hat dadurch dann eine sehr leichte und überhaupt nicht umständliche Installation von Office.
Charms und andere Dinge, die es zu beachten gilt 🔗
Nach dem Setup und der erfolgreichen Installation des Lieblings-Screen-Readers gilt es nun, sich mit der Touch-Oberfläche vertraut zu machen. Die Zentrale ist hier die Startansicht, die sogenannten Kacheln, also das, was früher mal das Startmenü war. Hier werden die vom Benutzer konfigurierbaren die Lieblings-Apps verwaltet. Dies sind vorzugsweise Apps im modernen Design, also Touch-Apps, können aber auch herkömmliche Windows-Desktop-Apps sein.
Viele Gesten sind bei JAWS und NVDA ähnlich. Beide unterstützen zwei Modi, einen zum Bedienen des Touch Screens und einen zum detaillierten Interagieren mit Texten. Ich empfehle dringend das Studium der jeweiligen Dokumentation bzw. Befehlsreferenz. Ein Blick lohnt sich auch für Benutzer von PCs oder Notebooks ohne Touch-Screen, denn sowohl die Objektnavigation von NVDA als auch der neue in JAWS 15 eingeführte Touch Cursor eignen sich, für Touch optimierte Apps zu erforschen und auch Berührungsgesten zu simulieren.
Es gibt jedoch einige Gesten, die immer aktiv sind und die manchmal auch zu etwas Verwirrung führen können. Man kann von allen vier Rändern des Touch-Screens in Richtung der Mitte wischen und löst so immer eine bestimmte Aktion aus. Wischt man von rechts in die Mitte, kommt das sogenannte Charms-Menü. Das ist eine Leiste von Befehlen, in denen sich immer so Dinge finden wie die Option zum Teilen von Inhalten, oder auch das Aufrufen von Einstellungen. Touch-Apps verstecken ihre Einstellungen sämtlichst hier. Über das herkömmliche Menü findet man diese nicht mehr. Nur in Desktop-Apps ist hier alles beim Alten. Die Tastenkombination für das Charms-Menü ist Windows-Taste+C, die Einstellungen kriegt man direkt sogar mit Windows-Taste+I. Das Studium der Gesamtübersicht aller Tastenkombinationen empfiehlt sich dringend!
Weitere globale Gesten sind das Wischen vom oberen Rand zum Schließen einer App, welches auch weiterhin mit Alt+F4 geht, das Wischen vom unteren Rand (Windows-Taste+Z) zum Öffnen der Menüleiste einer Touch-Anwendung, und das Wischen vom linken Rand, um eine Liste aller laufenden Touch-Apps ohne Desktop-Apps aufzurufen. Was nun passieren kann, ist, dass man mit dem Finger vielleicht zu nah an den Rand gerät und zurück erforschen möchte, diese Geste jedoch als Wischgeste vom Rand interpretiert wird. Das ist in Windows 8.1 schon viel besser geworden als es in 8.0 war, ich empfehle also unbedingt ein kostenloses Upgrade auf 8.1 zu machen.
Viele der mitgelieferten Apps wie Mail, Kalender o. ä. sind inzwischen Apps im modernen Design, selbst wenn man keinen PC mit Touch Screen hat. Man merkt dies ganz schnell daran, dass sich mit Alt keine Menüleiste oder keine Ribbon-Symbolleiste öffnet. Dann also einfach Windows-Taste+Z versuchen.
Und hier kommen wir zu einem wesentlichen Punkt, den man sich klar machen muss: Microsoft verheiratet in Windows jetzt zwei unterschiedliche Systeme: Die Windows-8-Anwendungen und herkömmliche Anwendungen, wie man sie von Windows 7 und früher her kennt. Man weiß nicht immer, in was für einer Anwendung man landet, und Microsoft wird mit Sicherheit noch mehr alte Apps durch neue Pendants austauschen, so dass diese Art Apps eher mehr als weniger werden. Eine vollständige Vereinheitlichung wird es aber vermutlich erst geben, wenn Microsoft irgendwann keine altherkömmlichen Desktop-Apps mehr erlauben sollte. Aber dass das in naher Zukunft geschieht, ist eher unwahrscheinlich, denn selbst Office oder die Programmierumgebung Visual Studio sind herkömmliche Desktop-Apps, mit Ausnahme des Office für RT-basierte Windows-Tablets, welches eine Sonderstellung einnimmt. Manche Anwendungen sind auch gewahr dessen, von wo sie aufgerufen werden. So kann sich der Internet Explorer sowohl als moderne Touch-App als auch als herkömmlicher Windows-7-ähnlicher Browser öffnen, je nachdem von wo aus er aufgerufen wurde. Der virtuelle Cursor ist jedoch in beiden Situationen uneingeschränkt verfügbar.
Ach ja, zum Windows-7-Desktop kommt man übrigens durch Drücken von Escape von dem Startbildschirm aus oder durch Auswahl des Menüeintrags Desktop unten links in der ersten Spalte.
Und noch etwas: Gerade die Windows-Tablets mit Intel Atom-Prozessoren können recht träge sein. Die Hardware ist der von inzwischen fast ausgestorbenen Netbooks ähnlich, also eher etwas schwächlich. Trotz verbautem Solid-State-Speicher als Festplattenersatz, welchen die Tablets heute alle haben, kommen sie aber beim Starten von Programmen oder auch bei Abläufen eher gemütlich daher. Tablets oder Convertibles mit Intel Core I5-Prozessoren oder sogar noch besser bringen hier natürlich auch eindeutig mehr Leistung, brauchen dann aber eventuell auch eine aktive Kühlung.
Was sowohl NVDA als auch JAWS sehr gut hinbekommen, ist eine gute Zuverlässigkeit und schnelle Reaktionszeit bei Berührungen des Touch Screens. Mit beiden kann man sowohl moderne Apps erforschen als auch Desktop-Anwendungen. Bei letzteren ist aber zu beachten, dass sie nicht auf die Bedienung durch Finger optimiert sind, die einzelnen Elemente daher sehr klein werden können. Ein Mauszeiger ist deutlich dünner als der schlankste Finger. 😉 Es empfiehlt sich, in beiden Screen Readern die Tastaturhilfe zu starten und die Gesten zu üben.
Fazit 🔗
Ohne Tastatur geht es auch unter Windows 8.1 nicht. Ich habe festgestellt, dass zwar vieles mit dem Touch Screen geht, dass man aber immer wieder an Punkte kommt, an denen man nur mit der Tastatur weiter kommt. Dem trägt auch Microsoft Rechnung und bietet seine Surface-Pro-Tablets mit Tastaturen an. Auch andere Hersteller von Windows-Tablets haben Tastaturen in der Regel als zubuchbares Angebot dabei oder manche auch im Lieferumfang enthalten. Während man z. B. ein iPad problemlos auch ohne Tastatur vollständig bedienen kann, ist die Hybrid-Situation bei Windows Grund genug, nie ohne eine Tastatur aus dem Haus zu gehen. 🙂
Ansonsten empfehle ich dringend ein Upgrade auf Windows 8.1. Dieses läuft soweit rund und hat die Kinderkrankheiten von Windows 8 zumeist beseitigt. Microsoft löst seine Kern-Apps außerdem aus den Windows Updates heraus und bietet sie als Updates über den Store an, so dass z. B. mail o. ä. laufend aktualisiert werden können, selbst wenn Windows an sich gerade kein großes System-Update plant. Microsoft gibt sich dadurch eine größere Flexibilität, auf Marktentwicklungen zu reagieren, wie z. B. das Einstellen des Exchange-Protokolls bei GoogleMail, das lediglich ein update der Mail- und Kalender-Apps notwendig machte, nicht aber gleich ein ganzes Systemupdate erforderte.
Ich denke also, dass man sich mit Windows 8.1 durchaus anfreunden kann. Voraussetzung ist, wie eigentlich üblich, dass man seinen Screen Reader beherrscht und sich einige neue Tastenkombinationen merkt, um mit den Eigenheiten der modernen Apps klarzukommen. Und dieses Studium empfiehlt sich in der Tat unbedingt, da diese Apps in Zukunft auch von Drittanbietern immer mehr werden werden. Die Welt wird mobiler und löst sich immer weiter von stationären Desktop-PCs, und dem tragen diese touch-optimierten Apps Rechnung. Auch als Blinder profitiert man davon, hat man über einen Touch-Screen Apps doch noch viel besser im Griff als nur per Tastatur.
Also: keine Angst vor Windows mit Touch!